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TOP DOWN UND BOTTOM UP - WIR MÜSSEN ALLE MITNEHMEN

Kathrin S. Trump und Barbara David (Commerzbank) im Interview zu Diversity Management und Führung

Am 14. November 2016 fand in Frankfurt die Veranstaltung "5 Jahre Charta der Vielfalt in Hessen" statt. Das Jubiläum bot Anlass, ein Resumée des bereits Erreichten zu ziehen, aber auch in die Zukunft zu blicken: wie wir das Diversity Management in den Jahren 2021, 2026 oder 2030 aussehen? 

Nach ihrem Workshop "Was überzeugt Führungskräfte? Erfahrungen aus der Praxis?" wurde Kathrin S. Trump gemeinsam mit Barbara David, Leiterin des Diversity Managements der Commerzbank, zu ihren Erfahrungen interviewt:

Diversity Management stößt auch in Führungsetagen nicht nur auf Gegenliebe. Welches sind die häufigsten Gegenargumente, die Sie von Führungskräften hören?

Barbara David: 
Veränderungsprozesse mit Blick auf Diversity Management sind herausfordernd, da diese Strategien meist auf einen umfangreichen Wandel abzielen. Schließlich werden gewohnte Arbeitskulturen und Normen hinterfragt. Es geht zum einen um einen persönlichen Veränderungsprozess, eigene Betroffenheit, eigenen Status und soziale Beziehungen. Zum anderen um Veränderungen im Unternehmen, die sich auf Regeln, Strukturen und die Kultur beziehen. Das kann Widerstand hervorrufen. Widerstände zeigen sich nicht immer direkt. Diversity und Inklusion (D&I) ist in vielen Firmen ein sozial erwünschtes Thema, deshalb kann es dazu kommen, dass Ablehnung nicht offen angesprochen wird. Sie zeigt sich in subtilen Verhaltensweisen und Äußerungen.

Die Notwendigkeit von D&I wird beispielsweise als Minderheitenproblem dargestellt oder als Wahrnehmungsfrage karikiert. Oder sie wird biologisiert, indem die Geschlechterdiskussion als Geschlechterrolle qua Natur erklärt und festgeschrieben wird. Gerne wird auch an andere delegiert, d.h. D&I wird nicht als Querschnittsaufgabe, bei der alle Bereiche im Unternehmen angesprochen werden, wahrgenommen. Beliebt sind auch die Sätze "Ich habe Wichtigeres zu tun" und "Es gibt drängendere Probleme".


Kathrin S. Trump 
Wenn wir mit Führungskräften arbeiten, sei es in Trainings oder zur Erarbeitung einer Diversity Management-Strategie, ist es eigentlich weniger direkter Widerstand mit Gegenargumenten. Es ist der längere Weg, den man im Vergleich zu anderen Mangement-Themen gehen muss, um von der Sinnhaftigkeit eines Diversity Managements zu überzeugen. Die Fragen, die wir hier in Diskussionen gestellt bekommen, sind alle sinnvoll und berechtigt. Beispielsweise "Was bringt es uns, Diversity Management einzuführen?" oder auch "Warum ist Diversity Management eine Führungsaufgabe? Gehört das nicht in die Personalabteilung?". Die Skepsis zeigt sich auch in Sätzen wie "Haben wir hierfür tatsächlich einen Bedarf?" und "Worin liegen die Chancen und ehrlicherweise auch die Risiken eines Diversity Managements?". Diese und ähnliche Fragen wollen überzeugend beantwortet werden.

 

Wie begegnen Sie diesen Gegenargumenten?

Barbara David:
Mehr Vielfalt im Unternehmen bringt mehr Komplexität und Unsicherheitszonen mit sich. Das kann die Tätigkeiten gerade in strategischen Entscheidungspositionen zunächst erschweren. Machtverhältnisse und Privilegien werden eventuell in Frage gestellt, das kann zu Widerständen führen. Daher ist es wichtig, die Vorteile von D&I darzustellen, die Beteiligten in der jeweiligen Situation abzuholen und ganz konkrete Angebote zu machen. Mit Training oder Best Practice Beispielen, aber auch durch Zielvorgaben, gut aufbereitete Daten und klare Zuständigkeiten. Teilnahme der Beteiligten an den Veränderungsprozessen sowie top-down und bottom-up-Strategien helfen ebenfalls. Und D&I sollte anschlussfähig sein, sich also an bestehende Werte und die Unternehmenskultur anbinden lassen.


Kathrin S. Trump:
Gegenargumente oder ein kritisches Hinterfragen sind häufig wichtig, um ein echtes Mittragen von Themen zu erreichen. Insofern freue ich mich erst einmal darüber, denn dadurch entstehen Gespräche und Diskussionen. Wir, die wir uns hauptsächlich mit Diversity beschäftigen, sind vielleicht auch mit einer gewissen ?Betriebsblindheit? unterwegs. Durch kritisches Hinterfragen werden wir angeregt, besser herauszuarbeiten, was der konkrete Mehrwert eines Diversity Managements in einem Unternehmen sein kann. Oder was für jede Führungskraft daraus an Vorteilen resultieren kann. Weshalb es konkret in ihrem Team notwendig ist, sich mit Diversity auseinanderzusetzen. Das setzt aber voraus, sich mit dem Unternehmen, seinem Geschäftsmodell und den konkreten Herausforderungen der Führungskräfte ausführlich zu befassen. Nur so entsteht ein Dialog auf Augenhöhe. Selbstverständlich lässt sich der Mehrwert eines Diversity Managements auch ganz abstrakt anhand von Studienergebnissen herausarbeiten, aber damit nehme ich nur die wenigsten mit. Ein wirkliches Verständnis lässt sich viel einfacher erreichen, wenn der Bezug zur Unternehmensrealität da ist. Und dass dieser eingefordert wird, ist vollkommen berechtigt.

 

Wie groß ist der Aufwand, um Diversity Management in einem Unternehmen umzusetzen?

Barbara David:
Das ist unterschiedlich und hängt u.a. von Größe, Struktur und vorhandener Kultur eines Unternehmens ab. Wichtig ist, dass D&I über einen längeren Zeitraum kontinuierlich nach vorne gebracht wird. Gute Ergebnisse werden erzielt, wenn Kapazitäten für eine koordinierende Stelle zur Verfügung gestellt werden können.


Kathrin S. Trump:
Unabhängig davon, wie groß ein Unternehmen ist oder wo es in seiner Entwicklung steht, sind aus meiner Sicht einige Dinge essentiell:

1. Die Führungsebene sollte eine normative Basis für das Diversity Management entwickeln. Beispielsweise in Form eines Diversity Leitbildes oder spezifiziert als Führungsgrundsätze für diversity-bewusste Führung. Auf dieser Basis sollten Führungskräfte hier eine Vorbildrolle einnehmen und mit gutem Beispiel vorangehen. Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.

2. Um Diversity Management nachhaltig anzulegen, sollte es an die Unternehmensstrategie angebunden sein und explizit die Unternehmensziele unterstützen. Gleichzeitig benötigt auch das Diversity Management selbst eine Strategie, um Ziele langfristig verfolgen zu können und die Umsetzung auch weniger abhängig von den jeweiligen Akteurinnen und Akteuren zu machen.

3. Kerngeschäfts des Diversity Managements ist es natürlich, die personelle Vielfalt der Beschäftigten zu planen, zu steuern, zu entwickeln und zu nutzen. Hierfür bedarf es Maßnahmen und Projekte für bestimmte Zielgruppen, Personalprozesse, die Chancengleichheit gewährleisten sowie Rahmenbedingungen im Unternehmen, die Raum für individuelle Bedürfnisse lassen, beispielsweise flexible Arbeitszeiten. Darüber hinaus bezieht ein gutes Diversity Management jedoch auch die Beschäftigten selbst mit ein, denn sie sind sozusagen Expertinnen oder Experten in eigener Sache.

4. Ohne Ressourcen kann Diversity Management nicht funktionieren. Man benötigt hierfür personelle wie auch finanzielle Kapazitäten und muss auch die Wissensressourcen gut managen, da Diversity Management ein sehr wissens- und know-how-intensives Thema ist.

5. Schließlich gibt es beim Diversity Management, wie bei anderen Management-Aspekten im Unternehmen auch, Prozesse, die entwickelt und gesteuert werden müssen. Ebenso muss eine zum Unternehmen passende Aufbaustruktur definiert werden. Das kann dann die Stabsstelle sein mit Anbindung an die Vorstandsebene und Repräsentantinnen oder Repräsentanten in einzelnen Geschäftsbereichen. Das kann aber auch zunächst eine Projektgruppe sein, die das Thema über einen begrenzten Zeitraum bearbeitet, bevor über die weitere strukturelle Anbindung entschieden wird. 

Je nach bereits vorhandenen Strukturen, Kultur und Unternehmensgröße ist es dann aufwändiger, diesen Rahmen mit Leben zu füllen, oder es geht sogar relativ unbürokratisch und pragmatisch.

 

Welche Abteilungen, welche Bereiche sind mit Diversity Management befasst?

Barbara David:
In vielen Unternehmen wird eine koordinierende Stelle im Personalbereich angesiedelt. Das ist enorm wichtig. Zugleich haben die Erfahrungen gezeigt, dass auch die Geschäftseinheiten D & I als Mehrwert verstehen und umsetzen müssen. Wichtig ist daher auch, dass D&I top down für alle Unternehmenseinheiten entschieden und entsprechend kommuniziert wird, beispielsweise über ein Diversity Council. Parallel dazu sind bottom-up-Initiativen unverzichtbar, beispielsweise Mitarbeiternetzwerke, die die Themen in die Belegschaft tragen und fördern. Es braucht dafür jemanden, der ?den Hut aufhat? - wo auch immer diese Stelle im Unternehmen angesiedelt ist. Je höher in der Hierarchie, desto besser. Gleichzeitig sollte sich das Thema in allen Bereichen und Prozessen wiederfinden, bis hin zum täglichen Handeln von jeder einzelnen Führungskraft, jedem einzelnen Team und jeder oder jedem einzelnen Beschäftigten.

 

Manchmal braucht es ungewöhnliche, innovative Lösungen, um Diversity Management umzusetzen. Wie sieht so eine innovative Lösung aus, haben Sie ein Beispiel?

Kathrin S. Trump:
Ich würde nicht sagen, dass das Diversity Management ungewöhnlichere oder innovativere Lösungen braucht als andere Management-Themen in einem Unternehmen. Zunächst ist es wichtig, dass es ?handwerklich sauber? und professionell umgesetzt wird. Allerdings bekommt das Thema natürlich einen besonderen Schub, wenn in der Kommunikation und für die Sensibilisierung auch einmal ungewöhnliche Wege gegangen werden. Hierfür haben wir mit unserem Institut einige Instrumente entwickelt, die es so noch nicht gab und die schlichtweg neugierig auf das Thema Vielfalt machen. Und im besten Fall auch dafür begeistern. Das ist zum einen unser DiversityParcours?, eine interaktive Wanderausstellung zum Thema Diversity, die durch die deutsche Unternehmenslandschaft tourt. Unser zweites Tool ist das GenderBrettspiel, das es möglich macht, sowohl in die Männer- als auch in die Frauenrolle auf der Karriereleiter zu schlüpfen. Oder DiverSophia, ein digitales Buch, das anhand von Infografiken zum Teil kuriose Zahlen, Daten und Fakten zu verschiedenen Facetten von Diversity vermittelt und damit das Bedürfnis nach ?mehr Wissen wollen? bedient, das uns sehr häufig in den Unternehmen begegnet ist.

 

Haben Sie einen praktischen Tipp: wie lernt man, wie übt man Toleranz und Offenheit? 

Barbara David:
Wenn Führungskräfte mit vorbildhaftem Verhalten sichtbar sind, hat das eine große Wirkung. Grundsätzlich müssen Toleranz und Offenheit jeden Tag und fast überall geübt werden. Wir alle haben Vorurteile, die uns oft nicht bewusst sind. Wir sollten diese ?kennenlernen?, sie uns erarbeiten und dann trainieren, gut damit umzugehen. 


Kathrin S. Trump
Ein praktischer Tipp, den jede und jeder von uns umsetzen und auch im Alltag üben kann, ist die Idee von ?Walk a day in my shoes? ? also ein gedanklicher Perspektivwechsel. Das schult ungemein die geistige Flexibilität und verhilft im besten Fall zu neuen Einsichten. Und einem besseren Verständnis des Gegenübers. Ich denke, dass nur so ein aufeinander Zugehen möglich wird und dadurch gleichzeitig das ?Andere? vertrauter wird. Das ist zwar anstrengend, aber es lohnt sich! 

 

Wie sieht die Zukunft von Diversity Management aus? Was sind die besonderen Herausforderungen der nächsten Jahre?

Barbara David:
D&I gelingt, je mehr ein Bezug zwischen Unternehmenszielen und -strategien und Diversity Management hergestellt wird. D&I sollte in die komplette Personalarbeit, in alle Personalprozesse eingebunden sein. Geschäftsbereiche sollten Diversity Management in ihrem Bereich auch im Blick auf Kunden, Märkte und große Veränderungen betrachten, wie beispielsweise Globalisierung, Digitalisierung,  Demografie. Führungskräfte brauchen dazu eine klar kommunizierte Einstellung ihres Unternehmens: D&I muss als Führungsaufgabe benannt und begleitet werden. Wichtig ist, engagierte Führungskräfte und Mitarbeiter als Promotoren einzusetzen und Schritt für Schritt gemeinsam zu überzeugen.


Kathrin S. Trump:
Betrachtet man die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, würde ich noch ergänzen, dass es wohl auch eine wichtige Aufgabe des Diversity Managements sein wird, alle im Unternehmen mitzunehmen und vom positiven Wert von Vielfalt zu überzeugen sowie für Offenheit gegenüber Unterschiedlichkeit zu werben.

 

Wir danken dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration für die Erlaubnis, das Interview auf unserer Website veröffentlichen zu dürfen. Die komplette Dokumentation der Tagung finden Sie hier.